Der „Walking simulator“, wohl eines der umstrittensten Genres der jüngsten Videospielgeschichte. Seinen Namen hat er von Kritikern verpasst bekommen die ihn belächelten, da seine einzige Interaktion sei, sinnlos durch die Gegend zu laufen.
Nun hat sich diese eigentlich negative Bezeichnung irgendwie als Namen durchgesetzt, dabei hat er aber mittlerweile den negativen Unterton ein wenig verloren.
Dennoch hassen ihn viele für seine simple Struktur und schreien auf „Das ist doch nicht mal ein Spiel!„. Andere hingegen lieben es, dass endlich wirklich erwachsene Themen wie Homosexualität, Verlustängste und Erwachsen werden, auch im Medium Videospiele seinen Platz finden.
Woher kommt aber diese Abwehrhaltung gegenüber dieses Genre?
Fakt ist, dass die meisten „Walking Sims“sich mehr auf das Transportieren eines gewisses Gefühls oder einer Botschaft bemühen als um komplexes Gameplay. Manchmal sind es ernste Thematiken die typischerweise nicht von Videospielen behandelt werden.
Aber sind sie deshalb keine Videospiele? Und wenn nein, warum ist das so vielen Gamer überhaupt so wichtig?
Dies und mehr will ich hier versuchen zu erörtern.
Ich will aber an diesem Punkt erstmal kurz abschweifen und über die Peripathetiker sprechen.
Sie waren Schüler von Aristoteles die er laut Überlieferung auf und ab gehend dozierte.
Natürlich kann man ihre Philiosopie nicht auf diesen kuriosen Fakt herunterbrechen, es ist aber dokumentiert, dass Aristoteles und seine Schüler glaubten, sie können sich beim Gehen besser konzentrieren und unbekümmerter sprechen, ja sogar, dass die simple Aktivität des Schreitens dem Kognitiven entgegenkomme.

Mancher kann dies vielleicht nachvollziehen wenn er/sie einmal in folgender Situation war: Nach einem heftigen Streit mit jemanden entscheidet man sich zusammen eine Runde zu spazieren und dabei zu reflektieren.
Manchmal merkt man dann, dass diese Herangehensweise zu weit aufgezwungeneren Gesprächen führt, als wenn man sich dabei einfach gegenüber gesessen wäre.
Das liegt daran, dass der Focus nun nicht mehr zu hundert Prozent auf dem Streit liegt, da man sich ja neben dem Reden auch auf das Gehen konzentriert. Der Akt der Fortbewegung ist dabei jedoch ein relativ simpler, repetitiver Vorgang und konkurriert deshalb nicht direkt mit der Gedankenwelt. Vielmehr hilft er sie in einen Rhythmus zu lotsen.
Dass das Gehen das Hirn zwar leicht fordert, ihm aber genug Raum zum Nachdenken lässt ist hier also der Knackpunkt.
Aber, Was hat das ganze nun mit walking simulators zu tun?
Nun ja, dafür müssen wir erstmal abweichen und definieren was wir unter diesem Begriff verstehen.
Wiktionary liefert uns diese Definition:
„An adventure game focused on gradual exploration and discovery through observation, with little in the way of action.“
Meist auch als walking simulator bezeichnet sind sogenannte Art games. Laut Wiktionary:
„A video game designed to convey an aesthetic and provoke a reaction, rather than to provide a traditional diversion with set goals.“
Wenn wir nun von diesen Definitionen, welche ich ausreichend und passend formuliert finde ausgehen, können wir Parallelen zu Aristoteles Peripatetiker ziehen.
Wie ich erwähnte habe ist das Ziel von „walking Simulators“ oftmals dem Spieler einen Denkanstoß zu bieten oder ein ganz bestimmtes Gefühl zu transportieren.
Ähnlich wie bei Aristoteles Herangehensweise hilft hier das relativ simple Gameplay, das Dargebotene ungezwungener, verdaulicher, in diesem Fall auch ludischer zu präsentieren.
Wie bei Aristoteles das Gehen, soll hier das Gameplay den Spieler einerseits beschäftigen, aber gleichzeitig nicht durch zu große Komplexität dem Inhalten im Wege stehen.
Zu komplizierte Gameplay-Mechaniken, würden nur vom Inhalt ablenken. Es ist also absichtliches Design.
Das ist der Hauptgrund weshalb ich das Design von „Walking Sims“ auch nicht mit herkömmlichen Gameplay-fokussierten Games vergleiche würde.
Bei Letzteren spielt die Handlung, eine philosophische Idee oder ein Gefühl meist eher eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist die Spielbarkeit und die sollte im besten Fall nicht mit anderen Inhalten konkurrieren müssen.
Aus diesem Grund beschränkt sich die Handlung der meisten Platformer auch auf: „Prinzessin wurde gekidnapped, rette sie!“ Und die meisten Shooter: „Bösewicht ist böse, kill ihn!“ Das ist gar nicht so sehr als Kritik gedacht, ganz im Gegenteil, wenn das Gameplay stimmt machen sie aus ihrer Sicht indem sie sich hauptsächlich darauf konzentrierten, Alles richtig. (Mir ist auch vollkommen bewusst dass es durchaus Ausnahmen gibt die den Spagat zwischen Inhalt und Gameplay meistern)
Ich will hier auch nicht verschweigen, dass es auch walking sims gibt, die ohne einer zündenden Idee daherkommen und dann nichts anders als hohle Techdemos sind. Oft sieht man dann eben Entwickler die scheinbare Einfachheit des Gameplays ausnutzen und sie nicht mit einer interessanten Grundidee versehen, welche dies rechtfertigen würde.
Die besten Spiele in diesem Genre werden von Leuten konzipiert die sehr wohl die klassische Schule des Videospiel-Designs kennen. Ähnlich wie Picasso sehr wohl figürlich zeichnen konnte, was ihm dies bei seiner abstrakten Kunst später zu Gute kam.
Die Frage nach dem regelrechten Hass gegen Walking Sims haben wir allerdings noch nicht tangiert.
Ich denke einfach es rührt vermutlich daher, dass viele alteingesessene Gamer Angst haben, diese Spiele würden herkömmliche Gamephilosophien ersetzen.
Da aber die Walking sim und beispielsweise der Ego-shooter meist völlig unterschiedliche Designziele verfolgen und noch dazu meist andere Zielgruppen haben ist diese Angst meiner Meinung nach komplett unbegründet.
Diese zwei Designschulen haben dennoch oft interessante Schnittmengen.
So wird in Blockbuster-spielen, vor allen um ruhige Elemente einzustreuen. immer mehr Walking Simulator- typisches Design verwendet.
Der Developer Naughty Dog nutzt dies oft um mehr Balance in ihren Spiele zu bringen und bombastische Action mit ruhigen Momenten zu akzentuieren.
So gibt es beispielsweise bei „Uncharted 2“ eine Sequenz in der der Held nach einer besonders herausfordernden Gameplaysequenz in einem stillen Moment durch ein tibetanisches Dorf spaziert.
Laut den Developern haben sie sich bei dieser Sequenz stark von „walking sims“, namentlich „The Graveyard“ inspirieren lassen.
Auch umgekehrt gibt es mittlerweile viele Walking sims die mehr Gameplay orientierte Elemente zulassen.
Bei Firewatch beispielsweise muss man sich mit Hilfe eines Kompass und mit Hilfe von visuellen Erinnerungen in einem amerikanischen Nationalpark orientieren. Ein Gameplay übrigens, das sich trotzdem elegant in die Handlung fügt, da in diesem Fall die Spielfigur die selben Erfahrungen macht wie der Spieler selbst.
Was in dieser Diskussion auch gerne vergessen wird darf ist, dass viele dieser Spiele auch wenn der Focus nicht darauf gelegt wird, sehr wohl wie „herkömmliche “ Videogames funktionieren.
Sie haben immer noch einen Win-state (meist die Story zu entlarven), einen Fail-state (Nicht genug Hinweise zu finden, Rätsel nicht zu lösen) und Collectibles oder Boni (Informationen, Musik-Clips, versteckte grafische Elemente und so weiter)
Das von Spiel-Kritikern zelebrierte und von vielen Spieler wegen seiner vermeidlichen Simplizität belächelte Erforschungs-Game „Gone Home“ ist ein Paradebeispiel dafür.
Hier spielt man ein zu ihrem Elternhaus heimkehrendes Teenage-girl einer amerikanischen Mittelkassefamilie. Man stellt schnell fest, dass das Haus verlassen ist und versucht dem auf den Grund zu gehen indem man Objekte im Haus inspiziert und diversen Hinweisen folgt.
Was bei anderen Spielen Punkte, Extraleben oder aufzusammelnde Boni sind, sind hier eben Erfahrungen und Erkenntnisse die der Spieler macht indem er die Spielwelt erforscht.
Würde jedesmal ein Soundclip abspielen oder eine Punktezahl aufpoppen wenn man ein neues Objekt findet, für Manche wäre die Erfahrung so wohl eher als Spiel zu verdauen.
Die Objekte welche die Geschichte ausschmücken sind in diesem Fall einfach Teilziele oder Boni fürs erfolgreiche Spielen. Von den Spielemachern willkürlich in Szene gesetzt, sie sind lediglich nicht sofort als solche zu erkennen.

Schlussworte:
Ich persönlich muss sagen, dass ich mittlerweile dieses Genre sehr zu schätzen gelernt habe.
Als alt eingesessener Gamer bieten sie mir eine Art Entspannung zu den etlichen manchmal fast stressigen wirkenden Shootern, Platformern und Konsorten. Das die meisten „Walking Sims“ in gut verdaulichen 2-4 Stunden zu bewältigen sind, macht dies noch attraktiver für mich, auch da ich als Vater immer weniger Zeit für aufwändige 100 Stunden Games habe.
Dass sie oft reifere Themen behandeln, spricht mich als erwachsenen Menschen noch zusätzlich an.
Und vor allem kann ich sie an Menschen weiterempfehlen die die Herausforderungen eines an Spielmechanik reichen Spiel gar nicht möchten und ihnen dennoch in einen gewissen Grad die Magie der Interaktivität näherbringen die so, nur Videospiele erzeugen können.
Als Schlusswort möchte ich noch erwähnen, dass ich sehr wohl noch Spiele genießen kann die eine reiche Spielmechanik aufweisen und diese in keinster Weise schlecht machen will, oder sie überhaupt in Kontrast zum Walking Simulator setzen. Vielmehr wollte ich aufzeigen, dass neue Wege Spiele zu sehen das bereits bestehend Medium durchaus bereichern können, schließlich glaubten Anfang 20ten Jahrhunderts auch viele nicht, dass die abstrakte Kunst irgendetwas zur figürlichen Kunst beitragen könnte…
Manchmal können diese Walking Simulator aber schon richtig langweilig werden… Gerne wird ja auch mal über die Stränge geschlagen, nicht alles ist wirklich „Kunst“ 🙂
Absolut! Auch hier gibt es gute und schlechte Produkte.
Und ja manche nehmen sich viiiiel zu ernst machen Einen auf Kunst ud schwelgen in diesem Artie-farty dunst der dem Genre nachgesagt wird.
Aber genauso wie ich beim Action-kracher ein Auge zudrücke weil die hohle story einfach so gut passt, muss man manchmal so ner Walking sim verzeihen dass sie sich ein wenig zuviel in die artsy schiene lehnt 😉
Sag ich mal so
Übrigens wenn du einen ein bischen weniger walkingen walking sim ausprobieren wilst empfiele ich „Valley“ -eine art Running/jumping simulator oder „A story about my uncle“ eine hookshoot-walking sim.
Nicht zu vergessen, das perfekte Genre für den Hangover-Sonntag 😀
haha… stimmt 🙂
Haha ja das hatte ich vergessen zu erwähnen. Da hast du ma sowas von recht 😉 Als Zelebrierer des Katers bin ich a voll bei dir. Vielleicht dmnächst ne Liste zu den Perfekten Kater-games
Walking Simulator sehe ich als natürliche Entwicklung und Evolution der Videospiele-Kultur. Bewusst gegen dass ständige Erlebnisfeuerwerk entscheiden finde ich mutig und richtig. Die Annahme, dass alle Gamer nur Achievements und Belohnungen brauchen, um motiviert zu sein hat sich somit wiederlegt. Schön.
Das starre Belohnungssystem, aufdem immer noch die meisten Spiele basieren, ermüdet sich und fesselt auch die Kreativität der Entwickler. Da muss noch unbedingt eine Loot-Box rein, dort muss noch jedes Artefakt gesammelt werden, damit ja der Preis des Spiels und die Spielzeit gerechtfertigt werden. Mühsam. Unnötig.
Gerade ein Firewatch, dass auch kommerziell erfolgreich ist, macht hoffentlich den Weg frei für viele neue Erfahrungen…
Bin deiner Meinung,
die Belohnungen fürs Spielen sind endlich wieder dei Erfahung und Erinnerungen die man sammelt statt Skinner box mässige Achievments oder „Do that´s“